BIS 2292. 1 CD/SACD stereo/surround • 60min • 2017

 

Alfred Schnittke (1943–1998) pendelt nicht nur national zwischen Deutschland und Russland, sondern auch religiös zwischen dem Judentum seiner Vorfahren, der russisch-orthodoxen Religion seiner russischen Heimat und schließlich der katholischen Religion, zu der er sich 1982 mit seiner Taufe in Wien bekannte. Viele seiner Werke haben einen religiösen, oft auch mystischen Hintergrund, so auch die Bußpsalmen aus dem Jahre 1988.

Diese 12 Bußpsalmen vertonen Gedichte für die Fastenzeit eines anonym gebliebenen Mönches aus dem 16. Jahrhundert und spiegeln die byzantinische Tradition des unbegleiteten Chorgesangs wider. Dabei orientiert sich das Singen an der gesprochenen Sprache, bleibt streng syllabisch. Die Harmonik ist meist eng geführt und tonal mehrdeutig, dazu durch moderne sich reibende Klänge verdichtet und gleichzeitig aufgerauht. Der letzte Psalm wird wortlos gesummt oder mit geschlossenem Mund gesungen. Dadurch ergibt sich eine mystisch-strenge meditative Atmosphäre, die durchaus gefangen nimmt.

Der Estonian Philharmonic Chamber Choir unter der Leitung von Kaspars Putnins gestaltet diese Atmosphäre zwingend und bannend. Vollkommen schlackenlos rein ist der Chorklang, rein, fast keusch klingen die Tenöre, mühelos leicht auch in den Höhen, die Frauenstimmen bleiben klar, gerade und arm an Vibrato auch in den bisweilen etwas hysterisch anmutenden Stellen, so im 6. Psalm, der schildert, wie zwei junge Großfürsten von ihrem Bruder umgebracht werden. Gleich darauf flehen die Frauenstimmen in absteigenden Tonpassagen eindringlich und bitterlich. Auch das Singen „bocca chiusa“, das Singen mit geschlossenem Mund, haben die Sänger unangestrengt drauf. Die zahlreichen Solo-Stellen lassen hören, was für ausgezeichnete Stimmen sich zu diesem Gesamtklang fügen.

Diese mühelose Stimmgebung samt einem immer klingenden und gut fundierten Pianissimo kommt auch den beiden Werken von Arvo Pärt (geboren 1935) zugute, die die CD vervollständigen. Das Magnificat ist bei Pärt nicht gerade ein ekstatischer Jubelgesang wie sonst oft, eher ein demütiges Gebet. Und demütig betend singen die estnischen Sänger, alles in reinsten Akkorden, so dass der „Tintinnabuli“-Stil von Arvo Pärt, der hier sehr subtil gehandhabt ist, in ganz feiner Art ertönt. Förderlich dafür ist auch die schön hallige Akustik der Nikolaikirche in Tallin, eines der estnischen Nationalheiligtümer, eine Akustik, die der Tonmeister meisterlich zu nützen verstand.

Das Nunc dimittis von Arvo Pärt fließt leise dunkel und geheimnisvoll dahin, bis es bei den Worten „Lumen ad relevationem gentium“ sich ins strahlendste Cis-Dur auflichtet (das Booklet erklärt alles aufs Beste). Der Chor bleibt auch hier im kraftvollen Fortissimo klangklar und nicht übersteuert: Höchstklasse der Chorkultur. Dieser Estonian Philharmonic Chamber Choir gehört in dieser Form zu den besten der Welt.

 

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