Knechtsteden · Der Estnische Philharmonische Kammerchor und Concerto Copenhagen gaben mit Musik von Arvo Pärt und Georg Friedrich Händel ein beeindruckendes Konzert in der Abtei Knechtsteden.
Der Hauptdarsteller war immer schon da. Seit Jahrhunderten unterbreitet er ein einzigartiges Angebot: einen grandiosen Klang im Raum. Hymnisch breitet er sich aus, flutet in alle Winkel und wirft seine Echos zurück. Er hüllt alle Töne in einen Mantel aus Würde und Wärme. Schöner kann Musik vielleicht gar nicht aufgeführt werden.
Hier, in der Kirche der ehemaligen Prämonstratenser-Abtei in Knechtsteden, erlebt das Publikum nun ein denkwürdiges Konzert: Der Estnische Philharmonische Kammerchor und das Orchester von Concerto Copenhagen führen unter Leitung von Tõnu Kaljuste (organisiert von Bayer Kultur und dem Festival für Alte Musik Knechtsteden) Werke von Arvo Pärt und Georg Friedrich Händel auf. Beide Komponisten haben auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun, aber das „Stabat Mater“ von Pärt und das „Dixit Dominus“ sind ekstatische Versuche über neue Möglichkeiten, gottesbezügliche Kunst mit unerhörten Tönen zu erfinden.
Pärt, der in diesem Jahr 90 Jahre alt wird, komponierte sein „Stabat Mater“ im Jahr 1985. Der Chor ist dreistimmig, die Bässe fehlen, der Klang schraubt sich mit dem ersten Einsatz des Soprans auf dem hohen A durch die Harmonien. Es sind Dreiklänge, die fortwährend ihre Bestimmung und Richtung ändern, doch immer geleitet von kleinen Schritten, von osmotischer Durchlässigkeit. Der estnische Spitzenchor singt das ebenso sonor wie scheu, seine Akkorde wirken wie Säulen, an die Kaljuste nie rührt. Sein Dirigat ist diskret, fast nüchtern, umso eindringlicher wirkt das fast mönchische Gleichmaß der Musik.
Händels „Dixit Dominus“ ist gegen die gereifte Kunstfertigkeit Pärts eine fast tollkühne Angelegenheit. Händel schrieb diese Psalmvertonung mit 21 Jahren in Italien. Er reizt die Kompetenz des Chors aus. Es geht buchstäblich drunter und drüber, polyphone Verläufe wogen wie Wellen im Sturm – und die Einsatzfreude des Estnischen Philharmonischen Kammerchors trotzt allen Stürmen. Die solistischen Partien besetzen diese Meistersinger von Tallinn mit eigenen Stimmen, was die Integrität der Aufführung großartig steigert.
Der Nachhall in der Kirche schluckt zwar die eine oder andere Feinheit von Händels wagemutigem Kontrapunkt, aber insgesamt ergibt sich eine prachtvolle Interpretation, an der die Feinmechaniker von Concerto Copenhagen trefflich beteiligt sind. Das Orchester spielte neben den beiden großen Chorwerken noch weitere Kompositionen von Pärt und Händel – ohne Dirigenten. Alles funktionierte per Augenkontakt, und zwar großartig. Riesiger Beifall.