Adam´s Passion. Copyright: Lovis Dengler

Berlin/Konzerthaus: „ADAM’S PASSION“ von Arvo Pärt und Robert Wilson, 28.03.2018

Vor rund drei Jahren habe ich die Uraufführung von „Adam’s Passion“ in Estlands Hauptstadt Tallinn miterlebt, in der Noblessner Werft, wo die Sowjets einst U-Boote bauten. Die riesige Halle war ein rauer und dennoch genau passender Rahmen für Arvo Pärts sehr besondere, tief religiöse Klangwelten. In der Zusammenarbeit mit Robert Wilson erwuchs daraus ein ebenso besonderes Musiktheater.

Wie kam es dazu? Bei einer Einladung von Papst Benedikt XVI an mehr als 200 Persönlichkeiten vor rd. 9 Jahren waren sich beide in Rom erstmals persönlich begegnet. „Why don’t we do something together“? hatte Robert Wilson Arvo Pärt gefragt. Pärts Antwort: „Why not“.

Seither sitzen zwei geniale Minimalisten in einem Boot und verbinden musikalisch bereits Bekanntes und Wegweisendes mittels szenischer Bebilderung. Zusammengestellt wurde „Adam’s Passion“ aus „Adam’s Lament“ (Adams Klage) von 2010, „Tabula Rasa“ von 1977 und „Miserere“ von 1989/1992. Neu war/ist nur der Vorspann „Sequentia“ von 2014, ein Werk für Streichorchester und Schlagwerk, das Pärt Wilson gewidmet hat.

„Adam’s Passion“ anderenorts adäquat aufzuführen, ist eine Herausforderung. Das Konzerthaus Berlin hat es – als Ergänzung zu seinem sehr gelungenen Baltikum Festival –jedoch gewagt. Ähnlich wie in Tallinn führt nun mittig ein beleuchteter Steg tief hinein in den Saal.

Das Konzerthausorchester Berlin und der stimmgewaltige Estnische Philharmonische Kammerchor sind wegen der Umbauten im Rang vor der Orgel platziert. Die (wie die Rezensentin) im Parkett Sitzenden hören die Musik von rückwärts. In Tallinn hatte man das genauso gemacht, doch konnten sich dort die Klänge weiträumig ausbreiten. Soviel Platz bietet sich im Großen Saal nicht. Doch dank des kundigen Dirigenten und Pärt-Experten Tõnu Kaljuste ist solches schon um des Erlebnisses willen hinnehmbar.


Adam`s Passion. Copyright: Kristian Kruuser/ Kaupo Kikkas

Die Aufführung beginnt in totaler Dunkelheit. Geigenklänge schweben durch den Saal, ein plötzlicher Xylophon-Schlag lässt zusammenzucken. Ist das vielleicht der Urknall? Auf der sattblau leuchtenden Leinwand huscht ein Lichtstrahl längs und quer, Wilsons Sinnbilder für Raum und Zeit (Lichtdesign: A.J. Weissbard).

Der splitternackte, nur als Mann bezeichnete Adam –  ist wie in Tallinn der Tänzer Michalis Theophanous.Vom Nebel umwabert tritt er allmählich aus dem Blau heraus. Minutenlang verharrt der aus dem Paradies Vertriebene wie in Schockstarre, bewegt nur ab und zu die Finger, um danach Fuß für Fuß und extrem langsam den beleuchteten Steg entlang zu gehen. Schließlich hebt er einen Zweig vom Boden auf und balanciert ihn auf dem Kopf zurück auf die Bühne. Eine poetisch wirkende Szene, passend zu Pärts mystischen Klängen.

Die hinzukommende Frau verkörpert auch in Berlin die berühmte, nun 77jährige Choreographin Lucinda Childs. Ebenfalls ganz langsam und mit starrem Gesichtsausdruck geht sie im weißen langen Kleid (Kostüme: Carlos Soto) hoheitsvoll Schritt für Schritt über den Lichtsteg. Zwischen beiden Personen entsteht jedoch kein Blick- oder Körperkontakt.

Dennoch bevölkern alsbald Kinder die Bühne, offenbar die Nachkommen dieser beiden ersten Menschen. Ein Junge schreitet, mit einem Stein auf dem Kopf, über den Lichtsteg. Er wird wohl später ein Haus bauen. Adam, nun arriviert, trägt einen Anzug und hantiert mit einer Leiter. Manche Bilder bleiben rätselhaft. Laut Wilson sollen sie nichts erklären und alles der persönlichen Deutung überlassen., sollen helfen, die Musik noch besser zu hören.

Recht konkret wird es jedoch, wenn zwei Kinder tatsächlich mit hölzernen Kalaschnikows auf der Bühne auftauchen. Zuvor hat schon Kain seinen Bruder Abel erschlagen. Die Nachkommen des sündigen Adam sind also eher böse Menschen. Aus dem Stück „Tabula rasa“ holen diesen Gedanken die beiden Violinisten Sayako Kusaka und Johannes Jahnel plus Angela Gassenhuber (Klavier) deutlich heraus.


Michalis Theophanous. Copyright: Kristian Kruuser/ Kaupo Kikkas

Auch im – auf dem „dies irae“- basierenden „Misere“ klingt Adams bzw. Pärts eigene Verzweiflung unverkennbar heraus. Doch die Hoffnung auf Gott und die Aufforderung an ihn,  dennoch Gnade walten zu lassen, überwiegen. Arvo Pärt – die Orgel lässt es erkennen – spricht hier jenseits aller Bebilderung gemeinsam mit dem Chor, den Solisten und dem Ensemble das letzte, Trost spendende Wort.

Die letzte Aufführung ist ausverkauft.

 

BERLIN/ Konzerthaus: „ADAM’S PASSION“ von Arvo Pärt und Robert Wilson